Verfolgung in der Türkei

Aktuelle Einflüsse:

Im Moment gibt es in der Türkei drei starke Trends: Die zunehmende Anwesenheit des extremistischen Islam, der ethnische Konflikt mit der kurdischen Minderheit und die grundlegende Veränderung der politischen Landschaft. All diese Trends hängen zusammen und haben Auswirkungen auf die Christen in der Türkei.

Betroffene Kategorien von Christen:

In der Türkei existieren alle Kategorien von Christen. Alle sind von Verfolgung betroffen, wenn auch in unterschiedlichem Maß.

Betroffene Lebensbereiche und Auftreten von Gewalt:

Der allgemein herrschende Druck auf Christen liegt in etwa auf dem Niveau des Vorjahres, während der Wert für die gewalttätigen Übergriffe deutlich gestiegen ist. Am stärksten betroffen ist das Privatleben, gefolgt von den Bereichen „Leben im Staat“ und „Kirchliches Leben“. Besonders Christen muslimischer Herkunft (Konvertiten) erleiden in ihrem Privatleben starke Verfolgung, ausgeübt von Familienmitgliedern und ihr gesellschaftliches Umfeld. Alle Christen sind mit Herausforderungen in den Bereichen „Leben im Staat“ und „Kirchliches Leben“ konfrontiert. Zusätzlich verstärkt wird der Druck durch den türkischen Nationalismus und die Bemühungen des Regimes, das Land zu islamisieren.

Ausblick:

Es ist zu erwarten, dass die Türkei ihre Anstrengungen zur schrittweisen Ausweitung des islamischen Einflusses und der damit einhergehenden Diskriminierung von Christen und anderen religiösen Minderheiten fortsetzen wird. Die erneuten Kämpfe zwischen den Streitkräften der Regierung und den Kurden wird den türkischen Nationalismus neu aufleben lassen, was Auswirkungen auf alle Christen in der Türkei haben wird, vor allem aber auf die Konvertiten. Die Anwesenheit islamischer Fundamentalisten in der Türkei hat sich bereits als starke Bedrohung für protestantische Pastoren erwiesen; Christen muslimischer Herkunft haben eine ähnliche Behandlung zu erwarten.

Die Triebkraft der Verfolgung von Christen in der Türkei ist „Islamischer Extremismus“.


Islamischer Extremismus:

Der islamische Extremismus hat Auswirkungen auf alle Christen in der Türkei. Er wird zusätzlich durch ein hohes Maß an Nationalismus verstärkt. Den größten Druck erfahren Christen muslimischer Herkunft (Konvertiten). Familie, Freunde und Gesellschaft versuchen mit aller Macht, sie zum Islam zurückzubringen, dem Glauben ihrer Vorfahren. Tritt jemand gegen den Willen der Familie zum christlichen Glauben über, so gilt es als Frage der Familienehre, dies vor Verwandten, Nachbarn und Bekannten zu verheimlichen. Das hohe Maß an Nationalismus verstärkt den Druck auf Konvertiten zusätzlich. Nach allgemeiner Überzeugung kommt ein „echter“ Türke als Muslim zur Welt; jedes Ausweisdokument enthält die Religionszugehörigkeit. Deshalb ist eine Hinwendung zum christlichen Glauben nicht nur eine Verletzung der Familienehre, sondern wird ebenfalls als Beleidigung der türkischen Identität verstanden. Dies kann zu Gerichtsverhandlungen und Inhaftierungen führen. Diese Mischung aus Islam und Nationalismus hat auch Auswirkungen auf andere Christen aus ethnischen Minderheiten. Sie werden kaum als vollwertige Mitglieder der türkischen Gesellschaft angesehen und erfahren alle Arten rechtlicher und bürokratischer Behinderungen. Im August 2015 haben 15 türkische protestantische Pastoren Todesdrohungen des Islamischen Staates (IS) erhalten; im Folgemonat wurden einige in einem IS-Video angegriffen. Die Hauptaussage des Videos war: „Konvertiere oder stirb!“

Im Moment gibt es in der Türkei drei starke Trends: Die zunehmende Anwesenheit des extremistischen Islam, der ethnische Konflikt mit der kurdischen Minderheit und die grundlegende Veränderung der politischen Landschaft. All diese Trends hängen zusammen und haben Auswirkungen auf die Christen in der Türkei.

Die zunehmende Anwesenheit des extremistischen Islam:

Der Aufstieg des IS im benachbarten Syrien und dem Irak hatte auch Auswirkungen auf die Türkei. Obwohl die Regierung von Präsident Erdogan sich nie öffentlich auf die Seite des IS gestellt hat, waren viele stillschweigende Entwicklungen zu beobachten, die die Aufrichtigkeit der Regierung in Frage stellen. Es gab Berichte in den türkischen Medien über Schiffsladungen mit Waffen für den IS, die vom türkischen Geheimdienst (MIT) durchgeführt wurden. Kürzlich hat der Leiter des MIT, der auch sehr eng mit dem Präsidenten verbunden ist, öffentlich die russischen Attacken auf „aufrichtige Muslime“ verurteilt und den IS „eine Realität“ und „ein gut organisiertes und beliebtes Unternehmen“ genannt.
Zudem gab es in den Medien Berichte über IS-Zellen, die in der gesamten Türkei operieren, IS-Rekrutierungsstellen auf türkischem Gebiet, sowie die Behandlung verwundeter IS-Kämpfer in türkischen Krankenhäusern.
Im Zeitraum von Juli bis Oktober 2015 kam es zu einer Reihe größerer Bombenanschläge, denen Dutzende Menschen zum Opfer fielen. Ermittlungen lassen vermuten, dass der IS hinter diesen Anschlägen steckt. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen hat die Türkei darauf nicht mit Angriffen gegen den IS reagiert. Stattdessen hat sie weiterhin Standorte der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) im Irak und in der Türkei bombardiert. Hier zeigt sich eine Verbindung zu dem ethnischen Konflikt.
Die Tatsache, dass der IS in der Türkei aktiv ist, erhielt im August 2015 eine weitere Bestätigung: Gegen 15 türkisch-protestantische Gemeinden und ihre Leiter ergingen scharfe Todesdrohungen via Facebook, E-Mail, Webseiten und Handy. Dies berichtete der Informationsdienst World Watch Monitor.


Der ethnische Konflikt mit der kurdischen Minderheit:

Im Juli 2015 wurden bei einem Bombenanschlag in Suruç an der türkisch-syrischen Grenze viele Menschen getötet, mehrheitlich Kurden. Die Reaktion der Kurden in der Türkei und darüber hinaus lieferte der Türkei einen willkommener Vorwand, den Friedensprozess mit den Kurden zu beenden, der seit den 1990er Jahren lief. Alle Bemühungen wurden mit einem Schlag beendet, als die türkische Polizei, Armee und Luftwaffe anfingen, kurdische Standorte in der Türkei, aber auch dem Irak, anzugreifen und zu bombardieren.
Damit begann ein regelrechter Schlagabtausch zwischen den Kurden und der Türkei. Dadurch fiel das Land in einen Bürgerkriegszustand zurück, während die Zahl der Todesopfer beständig steigt. Besonders im Süd-Osten der Türkei, wo einst die syrisch-orthodoxen Christen lebten, ist Reisen äußerst unsicher geworden.
Parallel zu dieser Entwicklung breitete sich eine teilweise paranoide Form von Nationalismus, der schon immer ein wichtiger Faktor in der Türkei gewesen ist, schlagartig aus. Das hat Auswirkungen auf alle Minderheiten, sowohl ethnische als auch religiöse. Griechische, armenische und syrische Christen wurden bedroht. Ethnische Türken, die vom Islam zum Christentum übergetreten waren, erhielten sogar Morddrohungen. Dahinter steckten nicht nur IS-Anhänger, sondern auch „moderate“ Muslime – ein weiteres Indiz für den wachsenden Einfluss des extremistischen Islam.

Grundlegende Veränderungen in der politischen Landschaft:

 Im Juni 2015 erlebte Präsident Erdogan bei den parlamentarischen Wahlen seine erste Niederlage, als es seiner Partei „AKP“ nicht gelang, die absolute Mehrheit im Parlament zu gewinnen. Der Grund dafür lag darin, dass viele kurdische Wähler die AKP nicht wählten und stattdessen für die kurdische Partei „HDP“ stimmten (hier zeigt sich wieder die Verbindung zum ethnischen Konflikt). Die AKP erklärte bereits während des Wahlkampfes ihre Absicht, im Fall einer entsprechenden Mehrheit die türkische Verfassung zu reformieren. Ziel dieser Reformpläne war die Etablierung einer präsidialen Demokratie – ein Staat, in dem nicht das Parlament, sondern der Präsident alle finalen Entscheidungen trifft.
Der Wahlausgang war für Präsident Erdogan eine bittere Enttäuschung, und er tat alles in seiner Macht stehende, um die Bildung einer großen Koalition zu verhindern. Die türkische Verfassung erlaubt dem Präsidenten Neuwahlen einzuberufen, wenn es nach einer Wahl nicht rechtzeitig gelingt, eine Regierungskoalition zu bilden. Die Frist verstrich und Erdogan kündigte neue parlamentarische Wahlen für den 1. November an.


Zum Zeitpunkt der Wahlen am 1. November war die Atmosphäre angespannt und polarisiert. Letzten Endes gewann die AKP wieder die Mehrheit im Parlament, sodass eine Koalition nicht länger nötig war. Unmittelbar nach dem Wahlsieg verkündeten Erdogan und die AKP, dass die neue Verfassung ihre höchste Priorität sei, um die präsidiale Herrschaft zu etablieren. Die Wahlen brachten auch bei den anderen Trends keine nennenswerten Veränderungen. Der Konflikt mit den Kurden besteht weiterhin, wie auch die Zurückhaltung der Türken, gegen den IS vorzugehen.
Die AKP ist verantwortlich für den allmählichen Abbau des türkischen Säkularismus, der 1923 von Kemal Atatürk eingeführt wurde. Stattdessen verfolgt die AKP nun eine Agenda der Islamisierung des Landes. Dies gefällt einem Großteil der konservativen Wähler, besonders in den ländlichen Gebieten. Hier wird auch die Verbindung zum religiösen Konflikt deutlich. Kaum jemand zweifelt daran, dass Präsident Erdogan seine Agenda der Islamisierung nach dem Sieg der AKP weiter fortsetzen wird. Die Türkei wird sich vermutlich mittelfristig in eine de facto Diktatur verwandeln, da nach der Verfassungsreform alle Macht beim Präsidenten liegen wird. Auch die Zensur der Medien ist in der Türkei bereits sehr ausgeprägt. Es gibt keine Pressefreiheit.



Auch auf internationaler Ebene hat die türkische Regierung in den letzten Jahrzehnten eine starke Wende vollzogen. Mittlerweile unterstützt sie islamische Regime wie die Muslimbruderschaft in Ägypten und die Hamas/PLO in Israel/Palästina. Israel und dem syrischen Präsidenten Assad hingegen steht die türkische Regierung sehr feindlich gegenüber. Präsident Erdogan macht kein Geheimnis daraus, dass er die Türkei als eines der führenden Länder der Region sieht, was in den Ländern des arabischen Nahen Ostens sehr verhalten aufgenommen wird. Dort dominieren im Blick auf die (von Erdogan bewunderte) osmanische Vergangenheit stark negative Gefühle.