Verfolgung in Indien

Indien ist hinsichtlich Kultur, Gesellschaft und Religion eines der facettenreichsten Länder der Welt. Daher ist die Benennung der treibenden Kräfte für Christenverfolgung schwierig, will man Verallgemeinerung vermeiden. Dennoch sollen gegenwärtige Strömungen, welche die christliche Kirche unter Druck bringen, hier zusammengefasst werden, ohne dass hierbei eine Reihenfolge hinsichtlich Intensität vorgegeben wird.

Verschiedene Auslöser für Verfolgung spielen in Indien zusammen: militant religiöse Bewegungen (radikale Hindus), kommunistische Unterdrückung und islamischer Extremismus. Militante Religiöse wie die Hindu-Nationalisten attackieren die christliche Minderheit am vordringlichsten mit ihrem Anspruch, jeder Inder muss Hindu sein. Ihre Ideologie ‚Hindutva‘ wird von mehreren politischen Parteien und mit ihnen verbundenen Jugendbewegungen getragen und hat starken gesellschaftlichen Rückhalt. Weiter ist diese Ideologie stark verwurzelt in Regierungs- und Polizeistrukturen, wo sie viele Unterstützer hat. Die christliche Minderheit kann daher nicht auf faire Behandlung hoffen, auch nicht Rechte einklagen. Ein bekanntes Beispiel ist die unzureichende Rechtsprechung im laufenden Gerichtsprozess um die Unruhen von 2008 in Kandhamal, Orissa. Selbst Mörder blieben willkürlich ungestraft und rühmen sogar noch die Durchdringungskraft ihrer Hindutva-Ideologie in der Gesellschaft. Zusätzlich fördern auch viele Medien diese Ideologie.

Anti-Bekehrungsgesetze

Erfolgreich mit dieser Ideologie regiert bzw. mitregiert gegenwärtig die ‚Bharatiya Janata Partei‘ (BJP – Partei des indischen Volkes) in sieben Bundesstaaten. In fünf von ihnen finden die sogenannten ‚Anti-Bekehrungsgesetze‘ Anwendung. Sie dienen beständig als Vorwand dafür, dass Gottesdienste gestört und abgebrochen werden und ebenso, dass Christen und ihre Leiter schikaniert, geschlagen und angeklagt werden. Eine Fülle von Berichten aus ganz Indien, neuerdings verstärkt auch aus dem Süden, belegt dies.

Alle Kirchen und christliche Aktivitäten werden überwacht, vor allem von radikalen Hindus. Sie haben vielfach Spione in Gemeinden eingeschleust, die Meldungen gegen Christen machten, die dann zu gerichtlichen Anklagen gegen Gemeinden geführt haben. In manchen Bundesstaaten, besonders in von Hindu-Nationalisten geführten, ist es nahezu unmöglich, ein Gotteshaus zu bauen oder zu renovieren. Neue Tempel dagegen brauchen keine Genehmigung. Auch in anderen Staaten haben vielerorts radikale Hindugruppierungen und ihre Netzwerke die örtliche Verwaltung unterwandert.

Schikane und Willkür

Dieses Klima der Furcht macht es Christen in einigen Bundesstaaten schwer, öffentlich über ihren Glauben zu sprechen, christliche Literatur weiterzugeben oder Sozialarbeit zu betreiben. An sich sind diese Tätigkeiten nicht gesetzeswidrig, da jedoch alle Gemeindeaktivitäten als ‚Verletzung der religiösen Gefühle‘ und ‚Störung von Frieden und Sicherheit‘ ausgelegt werden können, sind Christen sehr vorsichtig geworden. Einige wurden verprügelt, andere vor Gericht gezerrt, Hauskirchen wurden durchsucht, anderen wurden Bibeln und Gesangsbücher als angebliche ‚Bekehrungsmaterialien‘ weggenommen. In unzähligen Fällen gingen die attackierenden Hindus frei aus, wogegen die Christen als Opfer auch noch Anklagen und Verurteilungen ertragen mussten. Das Gesetz wird gezielt gegen Christen missbraucht, wobei die Nutznießer jedes Mal ungestraft davonkommen.

Einige Auslöser der Verfolgung

In wenigstens 12 Staaten über Indien verstreut ist die sogenannte ‚Naxaliten-Bewegung‘ anzutreffen. Diese maoistisch-kommunistische Gruppierung steht im Kampf gegen die Regierung. In Chhattisgarh und Orissa wurden hunderte christliche Familien unter vorgehaltenen Waffen von den Maoisten aus ihren Häusern und Dörfern vertrieben. Mindestens eine Person wurde dabei getötet. Je mehr Raum die Bewegung gewinnt, umso gefährlicher wird dies der christlichen Minderheit. Sie betrachten Christen als Feinde, die Verbindungen zur Regierung und in den Westen halten. In Staaten wie Andhra Pradesh unterstützen einige Christen die Maoisten, während wiederum andere als vermeintliche Polizeispitzel zu Opfern werden – Christen im Kreuzfeuer: von den Polizisten werden sie als vermeintliche Maoisten beschossen und umgekehrt von den Maoisten als Polizeiinformanten.

Der islamische Extremismus nimmt in einigen Provinzen Indiens, wie z.B. in Assam, dem Kaschmir Tal und Kerala zu. Die christliche Minderheit dort hat viel Druck im Berichtszeitraum erlebt. Christen mit muslimischem Hintergrund werden von Familie, Freunden und Nachbarn ausgeschlossen. Gleiches gilt für Christen mit hinduistischem Hintergrund in ganz Indien besonders für Personen niederer Kasten, den Dalits, den sogenannten Unberührbaren.

Mit der zunehmenden Religiosität im Land wächst auch die religiöse Intoleranz. Der Hinduismus erlebt eine Erweckung, die durch spezielle Veranstaltungen sowie Druck- und Onlinemedien gefördert wird. All dies ist primär Machwerk der Hindutva Truppen, die Indien zur glorreichen Hinduvergangenheit zurückführen wollen.

Die Hindutva Ideologie gewinnt – wie oben dargestellt - beständig an Einfluss. So hat sie sich vor wenigen Jahren Zugang zu Südindien verschafft, unterstützt und besiegelt durch den Wahlsieg der BJP in Karnataka 2008. Die Hindutva-Bewegung tritt außerdem aggressiv über Organisationen wie Vanvasi Kalyan Ashram (Aschram für Wohlergehen von Stammesgemeinschaften) und Vanavasi Kalyan Paridhad’s (Komitee für Wohlergehen von Stammesgemeinschaften) an Stämme im nordwestlichen Indien heran, in Orissa, Madhya Pradesh, Gujarat und anderen stammesgeprägten Regionen. Ziel ist die Einverleibung der Stämme in die Hindugemeinschaft, d.h. Mitgliedergewinnung.

Korruption und Kastensystem

Neben all diesen Bewegungen, welche die christliche Minderheit ins Visier nehmen, gibt es zwei wesentliche Faktoren, welche die Grundlage für das gesamte System bilden. Faktor Eins ist die systematische und organisierte Korruption, die auch in vielen anderen Ländern zu beobachten ist. Die gesamte Bevölkerung leidet darunter, besonders aber die christliche Minderheit und verstärkt dann, wenn Christen wagen, dies offen anzusprechen. Faktor Zwei ist die Tatsache, dass immer mehr Menschen aus den unteren Kasten zum christlichen Glauben wechseln, da sie dort Freiheit und Hoffnung erfahren. Da das Kastensystem tief in Indiens Gesellschaft verwurzelt ist, müssen christliche Aktivitäten mit größter Vorsicht geschehen, da sie schnell als missionarische Aktionen gedeutet werden. Je mehr Menschen der unteren Kasten zum christlichen Glauben kommen, umso mehr wird das gesamte System von Ausbeutung und Übervorteilung an sicherem Stand verlieren. Dies mag ein Grund sein, warum Hindu-Extremisten die Christen so grimmig bekämpfen.

Mögliche Entwicklung

Das Gesamtbild wäre unvollständig, blieben all die friedlichen Staaten unerwähnt, wo Christen und andere Minderheiten ihren Glauben leben können. Diese bereits erwähnte Vielfältigkeit im Land begründet die relativ niedrige Einstufung Indiens im Weltverfolgungsindex.

Eine Vorschau zu geben ist schwierig. Mit Meldungen von Übergriffen praktisch im Wochentakt, die sich nun auch nach Südindien ausdehnen, hat sich die Lage in den letzten 12 Monaten auf jeden Fall verschlechtert. Die Wahlen stehen vor der Tür - nationale wie auch in Bundesstaaten mit hoher BJP Präsenz -  und so wird die Verfolgung wohl anwachsen. Wahlzeiten sind schon oft Zeiten der Verfolgung für die Christen gewesen. "Schlagt die Christen – stockt euren Wählerbestand auf" ist eine Strategie, die von der BJP effektiv angewendet wird. Erschwerend kommt hinzu, dass die Regierung das Problem Verfolgung ignoriert, den religiösen Aspekt unterschlägt und lieber von ‚kriminellen Handlungen‘ spricht. Eine Zunahme der Verfolgung für 2013 im Vorfeld der Wahlen 2014 ist deshalb zu erwarten.