Verfolgung in Äthiopien

Laut Verfassung herrscht in Äthiopien Religionsfreiheit. In Gebieten mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung, besonders im Osten und Südosten, kommt es zu Übergriffen auf Christen bzw. ehemalige Muslime. Die Gründe für die Verfolgung und Ausgrenzung von Christen in dem ostafrikanischen Land sind klerikale Überheblichkeit gegenüber anderen christlichen etwa protestantischen Gemeinschaften und oftmals Erneuerungsbewegungen innerhalb der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche (EOC) sowie der islamische Extremismus.

  Früher richtete sich vor allem die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche (EOC) gegen aufkommende protestantische Gemeinden und bedrängte deren Mitglieder. Protestantische Gemeinden sind in Äthiopien die am schnellsten wachsende Glaubensgemeinschaft. Doch auch Erneuerungsbewegungen in den eigenen Reihen wurden unterdrückt. Inzwischen haben sich Islamisten in mehrheitlich muslimischen Gebieten als Hauptverfolger von Protestanten aber auch EOC-Mitgliedern herausgestellt. Gegner der Christen finden sich heute mehr innerhalb gesellschaftlicher Gruppen als in Regierungskreisen.

Kirchliche Opposition

Es existiert kein Gesetz, das die Integration von neu zum Glauben gekommenen Christen in verschiedene einheimische Gemeinden untersagt. Allerdings stellen sich Ortsansässige und die Familien der betreffenden Christen häufig gegen sie. Daher "ermutigen" leitende Mitglieder der EOC und muslimische Gruppen zum Angriff auf Kirchen und Konvertiten. Die Ziele sind dabei völlig verschieden, jedoch haben beide einen gemeinsamen "Feind" und eine ähnliche Strategie. Die EOC bleibt weiter eine Quelle der Verfolgung von Christen in Äthiopien. Leiter sehen durch das Aufkommen anderer Kirchen und Gemeinden ihre historische Vorherrschaft bedroht. Ihrer Ansicht nach, so berichten einheimische Informanten, würden Protestanten und Islamisten ihnen Mitglieder nehmen und damit die Kirche zu zerstören versuchen. Für die EOC sind die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche und die Existenz des Staates Äthiopien untrennbar miteinander verbunden. Der "innere Kern" der EOC stellt sich auch gegen Erneuerungsbewegungen innerhalb der Kirche. Vermeintliche Reformer gelten als geheime Agenten der protestantischen Kirche. Eine Reihe von Priestern und anderen kirchlichen Mitarbeitern wurden aus der Kirche ausgeschlossen, nachdem ihnen unterstellt wurde, "reformatorisch" zu sein.


Wachstum des radikalen Islams

Besonders von Verfolgung bedroht sind ehemalige Muslime. Konvertiten können aus der Familie verbannt oder in Dörfern isoliert werden; ihr Eigentum zerstört und Eheleute zur Scheidung von ihrem muslimischen Partner gezwungen werden. Manche werden verprügelt oder erhalten sogar Todesdrohungen. Engagierte, missionarisch aktive Christen wurden Opfer von Schikane und Willkür. Ihnen wird der Vorwurf gemacht, Muslime zum Abfall vom Islam verführen zu wollen oder sie werden beschuldigt, den Islam beleidigt zu haben.

Der Vormarsch des Islam ist eine der größten Herausforderungen für die äthiopische Kirche, daher ist der radikale Islam eine weitere Quelle für Verfolgung von Christen in Äthiopien. Muslime missbilligen es, wenn Mitgliedern der örtlichen Moscheegemeinden das Evangelium weitergegeben wird, selbst bei Interesse von muslimischer Seite. Darüber hinaus ist der unvorhersehbare Vormarsch des Islamismus in Äthiopien vom sunnitischen Islam hin zur wahhabitischen Richtung, einer strengen Form des Islam, eine negative Entwicklung in Äthiopien. Es wird vermutet, dass Leiter und Prediger einheimischer islamischer Bewegungen und Prediger aus arabischen Ländern Intoleranz sowie eine neues Selbstbewusstsein gefördert haben.

Auffallend ist auch die häufige Erhebung falscher Anschuldigungen gegen Christen. Fast alle bekannt gewordenen Inhaftierungen waren die Folge fingierter Anschuldigungen. Die Beamten schienen sich des internationalen Drucks bewusst zu sein. Behauptungen, es komme zu Menschenrechtsverletzungen, weisen sie deshalb heftig zurück. Jedes Mal, wenn Christen ins Gefängnis mussten, gab es zahllose Vorwände: Die Beleidigung anderer Religionen, illegale Versammlungen, illegales Bauen, Diebstahl und Bedrohung des öffentlichen Friedens sind einige davon. Es wurden falsche Zeugen herangezogen, und es kam zu Verurteilungen.


Die Spannung zwischen der EOC und den Islamisten hat die Aufmerksamkeit der Regierung erregt. Mit dem Wohlwollen des Ministeriums für Bundesangelegenheiten wurde ein "Forum des Religionsdialogs für Frieden und Entwicklung" gegründet. Dem Forum gehören Führungspersönlichkeiten aus EOC, Islamisten und Protestanten an. Inzwischen berichten einige Gemeindeleiter jedoch, dass das Forum dafür benutzt werde, "gemeinwohlorientierte" Restriktionen durchzusetzen, etwa gegen das Evangelisieren außerhalb von Kirchen. Im Bundestaat Benishangul Gumuz beispielsweise ist es Christen nicht erlaubt, an öffentlichen Versammlungsorten, in Büros, Schulen, auf Märkten usw. über Religion zu diskutieren. Im Staat Oromia wurden Gemeinden Massenveranstaltungen an öffentlichen Orten untersagt. Oromia ist die Region, wo viele islamistische Angriffe stattgefunden haben.

Mehr Verfolgung erwartet

EOC und Islamisten werden protestantische Christen weiterhin als Bedrohung betrachten. Doch radikale Muslime zielen auch auf die EOC im Allgemeinen ab. Open Doors erwartet, dass die Verfolgung aller Christen - ungeachtet ihrer Konfession - kurzfristig zunehmen wird, und das umso mehr, als der extremistische Islam in Äthiopien aus dem Ausland unterstützt wird. Zudem zieht es einige extremistische Gruppen wie Al Shabaab aus dem benachbarten Somalia nach Äthiopien.

Die Feindseligkeiten haben viele Gesichter. Da sind zum einen die ‚normalen‘ Anfeindungen mit hoher Bedrängnis im privaten und kirchlichen Bereich. Für Äthiopien (wie auch für Eritrea) ist die Nutzung von privaten Wohnungen als Hauskirchen für Christen mit einem muslimischen Hintergrund, Christen mit einem kirchlichen Hintergrund und nicht-traditionelle Protestanten typisch. Das verstärkt den Druck auf den privaten und kirchlichen Bereich. Konvertiten und ‚Untergrundchristen‘ lassen höchste Vorsicht walten, wenn es darum geht, ihre Zugehörigkeit zu einer Hauskirche geheim zu halten. Im gesellschaftlichen und staatlichen Bereich ist die Bedrängnis nicht ganz so stark. Hinsichtlich des familiären Bereichs bilden die nicht-traditionellen protestantischen Christen dahingehend eine Ausnahme, dass sie ihren Glauben gegenüber ihren Familien einschließlich Verwandtschaft offen leben und bekennen.


Zukunft besorgniserregend

Die Situation in Äthiopien ist äußerst komplex. Die Zukunft der christlichen Gemeinde gibt Anlass zur Sorge. Ein Mitarbeiter im Land dazu: "Wir sind uns nicht sicher, ob die Gemeinde die Bedrohung überhaupt wahrnimmt. Das neue Gesetz, das religiöse Botschaften in der Öffentlichkeit verbietet, ist direkt gegen Christen gerichtet. Weiter können die Veränderungen in den Leitungskreisen von Regierung und EOC Fanatikern Tür und Tor öffnen, Gemeinden und Christen verstärkt anzugreifen." Und das alles in dem Umfeld einer geographisch sich ständig ausweitenden Bedrohung durch die Anfeindung von Seiten des extremistischen Islam. Dann ist da noch die entmutigende und unkontrollierte Inflation, die den verfolgten Christen das Überleben erschwert – sie werden von wirtschaftlichen Problemen besonders hart getroffen. 2013 ist ein Jahr der Entscheidung für das Land.