Triebkräfte von Verfolgung

Derzeit sind die Haupttriebkräfte der Christenverfolgung in Äthiopien "Islamischer Extremismus", "Konfessionelles Anspruchsdenken", "Diktatorische Paranoia" sowie "Exklusives Stammesdenken". Diese vier Triebkräfte sorgen für eine komplexe Verfolgungssituation.

Islamischer Extremismus: Die Bevölkerung des Landes besteht zu ungefähr 63% aus Christen und zu 34% aus Muslimen. Statistiken der Central Statistical Agency of Ethopia (CSAE) zufolge ist die zweite Bevölkerungsgruppe in 60% der Regionen vertreten. Vor dem Hintergrund eines auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene zunehmend führend auftretenden Islamismus (oder politischen Islam) hat die Gefährdung von Mitgliedern aller christlichen Kirchen in sämtlichen Lebensbereichen zugenommen. Dies gilt besonders für die östlichen, westlichen und südlich-zentralen Landesteile, die muslimisch dominiert sind. Die dort lebenden Christen werden von Muslimen drangsaliert und aus der Gemeinschaft ausgegrenzt; der Zugang zu kommunalen Versorgungseinrichtungen wird ihnen verwehrt. Hinzu kommen gewaltsame Übergriffe gegen Christen.

Konfessionelles Anspruchsdenken: Viele Jahre lang hat die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche (EOC) Christen verfolgt, die sich von ihr abgewendet haben, um sich entweder den nicht-traditionellen protestantischen Kirchen oder einer der Erneuerungsbewegungen innerhalb der EOC anzuschließen. Laut einem Mitarbeiter von Open Doors geschieht dies zumindest teilweise in Form von Angriffen durch EOC-Kirchenmitgliedern gegen Mitglieder der Erneuerungsbewegungen. Außerdem haben die EOC und/oder der EOC zugeordnete Gruppierungen Einfluss auf die Regierung genommen, um Gesetze zu erlassen, welche die Bewegungsfreiheit und Entwicklung von Christen außerhalb der EOC einschränken.

Totalitäre Paranoia: Diese Triebkraft von Verfolgung gewinnt an Bedeutung. Obwohl hochrangige Regierungsmitglieder wie der Sprecher des Repräsentantenhauses und der Premierminister Protestanten sind, ist die Regierung gegenüber Religion im Allgemeinen und Christen im Besonderen argwöhnisch. Zum einen ist die Regierung davon überzeugt, dass jede Religion die Menschen wirksamer organisieren und miteinander verbinden kann, als jeder Demagoge. Würden derart organisierte Gruppen gegen die Regierung aufgewiegelt, wäre die Gefahr eines Umsturzes sehr groß. Zum anderen hält die Regierung die Protestanten für gefährlich, insbesondere die nicht-traditionellen. Diese Sorge ist weniger in einzelnen Glaubensüberzeugungen begründet, sondern in dem Verdacht, hinter den Gemeinden stünden vom Ausland gesteuerte Kräfte, die einen Regimewechsel anstreben. Drittens vermutet die Regierung in den Reihen der EOC eine ansehnliche Anzahl von Leitern, die entweder Unterstützer oder sogar Vertreter der Oppositionsgruppen sind. Kurz gesagt ist die Verfolgung von Christen durch die Regierung untrennbar mit dem Streben nach Machterhalt verknüpft.

Exklusives Stammesdenken: Auch diese Triebkraft von Verfolgung gewinnt an Bedeutung. Seit 1991 ist "Identität" ein großes politisches Thema, das alle Lebensbereiche im Land betrifft. Die Suche nach "Wurzeln und Identität" führte zu einer feindseligen Haltung Einzelner und ganzer Gruppierungen gegenüber Christen, insbesondere gegenüber der EOC und deren Lehre, dass "der christliche Glaube zur politischen Herrschaft einer ethnischen Gruppe über andere ethnische Gruppen berechtigt". Bis 1974 bestimmte die EOC die Staatsreligion. Von 1974 bis 1991 kam das Land unter kommunistische Herrschaft. Nach 17-jährigem Kampf mehrerer ethnischer Gruppen gegen die Regierung wurden die Kommunisten entmachtet. Den ethnischen Gruppen wurden 1991 im Rahmen der Äthiopischen Übergangsstatuten Anerkennung und Schutz ihrer eigenen Kultur und Identität zugesichert. Was anfangs politisch sinnvoll und richtig erschien, mündete schließlich in eine Ablehnung der Christen durch einige dieser ethnischen Gruppierungen. Der Stamm der Oromo beispielsweise will seinen traditionellen Glauben "Wakefeta" erhalten. Wakefeta ist gleichzeitig Kultur und Religion und hat eine beträchtliche Anzahl von Anhängern, von denen einige ursprünglich Christen waren. Sie verfolgen Christen im Allgemeinen, aber besonders betroffen sind ehemalige Wakefeta Anhänger, die sich dem christlichen Glauben zugewandt haben. Manche Stämme fordern von den Christen, sich an Kämpfen gegen andere Stämme zu beteiligen und bestrafen sie, wenn die sich weigern.